Oh Themse, Du launisches Geschöpf – oder: wo bleibt die Flut?

Man sollte meinen, dass die Veranstalter der Langstreckenregatta Head of the River Race in London jahrzehntelange Erfahrung haben sollten, was die Zeiten, genauer die Ge-Zeiten angeht. Als Hintergrund sei gesagt, dass Ebbe und Flut der Nordsee die Fließrichtung der Themse so stark beeinflussen, dass bei Flut die Themse „bergauf“ fließt; genauer: gedrückt wird. Dies ist auch der Grund, weshalb bei den Rennen für die offene Klasse samstags die Flut abgewartet wird. Die Startzeit variiert also von Jahr zu Jahr, damit die Boote zügig von Putney nach Mortlake/Chiswick mit Strömung rudern können. Sonntags, bei den Altersgruppen-Ruderern, kann die Fahrt auch mal in die andere Richtung gehen. Da die Startzeit am Vormittag liegen soll, wird je nach Gezeitenstand die Ruderrichtung angepasst.

Der Streckenabschnitt, den wir als Nieder/Höchster Renngemeinschaft schon so manches Mal gerudert sind, war natürlich der gleiche. Aber, es gab für uns dieses Jahr einen großen Unterschied. Wir hatten einen hervorragenden Startplatz mit der Nummer 34. Im Feld der Mastersruderer, die in London sonntags auf die Strecke gehen, hätte das die Basis für eine gute, bis sehr gute Zeit sein können. Die Mannschaft war zwar neu zusammengesetzt, aber wir hatten im Training in den verschiedensten Kombinationen schon zusammengesessen und trauten uns Einiges zu. Alles gut so weit, Aufreihung der Boote bei bestem Wetter, die Strömung noch abfließend in normaler Fließrichtung der Themse. Dann allmählicher Wechsel, wir trieben in Wartestellung bereits leicht „hoch“. Dann ein Antreiben der Umpire, der Schiedsrichter, sich zu sortieren, man müsse zügig starten, weil die Wasserbehörde auf Freigabe des Flusses für die Schifffahrt dränge. Also Vorbereitung, zügiges Anfahren, Schlagzahl erhöhen, mit voller Fahrt auf die Strecke, lange Schläge, Schlagzahl wie gewohnt hoch, ein Boot überholt, kurz vor der Ziellinie nach einem ewig erscheinenden „Schlussspurt“ noch zwei Boote beinahe abgefangen. Spurt bis zum sogenannten Pole, der Marke, die auch beim Rennen Oxford-Cambridge die Ziellinie markiert. Glückliches Anlegen, Zuprosten, gut gelaunte Renn-Nachbesprechung.

Diese positive Grundstimmung wurde dann allerdings etwas getrübt, als die Rennergebnisse so langsam bekannt wurden. Boote mit niedriger Startnummern und früh gestartet landeten fast ausnahmslos zeitlich weit hinter Booten mit späterer Startzeit (und höheren Startnummern). Wir erklären uns da so: die Strömung hatte noch nicht die volle Kraft entwickelt, als wir und die Boote mit ähnlichen Startnummern auf die Strecke gingen. Allerdings gab es wohl dreiste Ortskundige, die einfach nicht als Startnummer 1 gestartet sind, sondern z.B. als 189-zigestes Boot, mit Superzeit. Ähnlich auch z.B. Startnummer 33. Wir hatten sie am Start vermisst, sie hätten vor uns starten sollen. Aber sie waren zu dem Zeitpunkt unauffindbar, sind wesentlich später gestartet und haben am Ende auch eine deutlich bessere Zeit errudert. Dann wirkte die volle Kraft der Flut und gab den Booten einen wahnsinnigen Schub. Sicher, auch damit muss man umgehen und diese Druckverhältnisse beherrschen. Wir hatten uns das allerdings auch zugetraut und sind – zumindest aus eigener Beurteilung – unter unseren Ergebniserwartungen geblieben. Dieses Mal waren es nicht Wind und Wellen, sondern eine Fehleinschätzung der Strömungsverhältnisse durch das Organisationsteam. Wie gesagt, Gezeitenkalender gibt es seit Jahrhunderten, Erfahrung mit der Regatta seit Jahrzehnten.

Besteht die Möglichkeit auf Ungleichbehandlung hinzuweisen? Wahrscheinlich ja, aber würde man Etwas erreichen? Eher nicht…wie sagte Stefan nach dem Rennen: „Sei’s drum, haben wir nächstes mal halt mehr Boote vor uns zum Überholen.“

Was bleibt also einer Rudermannschaft in England im ruderverrückten Londoner Westen? Richtig: der Pub. Wir sind ja immer bemüht, neben dem Sportlichen auch etwas Kulturelles von unserem Besuch in London mitzunehmen. Das haben wir, wie man von verantwortungsbewussten, reifen Erwachsenen erwarten kann.

Beim Wochenende in London dabei waren die Ruderer, siehe Bildunterschrift, und einige Groupies. Darunter fachkundige Ruderer wie Gisi Taeuber, Christine Glitsch, Steffi Ravens und Udo Hennig – der leider den Weg ins Boot aus gesundheitlichen Gründen nicht schafft, sowie unser Freund und Organisator Martin Clark. Er war es, der Unterkunft, Rahmenprogramm und Boot für uns klar machte. Ein Dank der Ruderer geht an unser Begleitteam, das uns hervorragend unterstützte.

Rüdiger Dingeldey

 

Kreisblatt Artikel:http://www.kreisblatt.de/sport/main-taunus-kreis/Vom-Main-auf-die-Themse;art800,823212